Wachstumsschübe im Jugendtennis – das unterschätzte Risiko

Unter den etwa 1,5 Millionen Vereinsmitgliedern im deutschen Tennis sind hunderttausende Jugendliche – viele davon zwischen 12 und 17 Jahren –, die aktiv, teilweise wettkampf- oder leistungsmäßig Tennis betreiben. Was für Außenstehende nach gesunder Bewegung klingt, ist für ambitionierte Jugendliche oft ein Balanceakt.

Bild: Torsten Hunold

In dieser Altersgruppe häufen sich Beschwerden und Verletzungen, die nicht selten zu langen Pausenführen.

Obwohl genaue Zahlen fehlen, bestätigen Studien die Tendenz, dass viele jugendliche Leistungsspieler regelmäßig mit Verletzungen kämpfen. In einer deutschen Langzeitanalyse lag die durchschnittliche Verletzungshäufigkeit bei 1,7 Fällen pro Spieler. In anderen Untersuchungen gaben über 70 % ehemaliger Leistungssportler an, ihre Karriere wegen wiederkehrender Verletzungen beendet zu haben.

Einer der entscheidendsten, aber am häufigsten übersehenen Faktoren ist das Körperwachstum. Dieses findet bekanntermaßen nicht stetig, sondern in Schüben statt. Während der Wachstumsphasen verändert sich der Körper so rasant, dass Muskulatur, Sehnen und Nervensystem kaum Schritt halten können. Für Tennisspieler, die täglich rotieren, bremsen und beschleunigen, ist das ein Hochrisikoszenario.

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Warum Wachstumsschübe kritische Momente sind

Das Längenwachstum der Knochen erfolgt in den sogenannten Epiphysenfugen – Zonen, die während dieser Phase weich und verletzlich sind. Wenn die Knochen schneller wachsen, als Muskeln und Faszien sich anpassen können, entsteht eine permanente Zugspannung im Gewebe. Die Spieler sind also durch die relative Verkürzung der Faszien in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt.  Parallel verlagert sich der Körperschwerpunkt. Das Nervensystem muss sämtliche Bewegungsprogramme neu koordinieren. Viele Trainer beobachten dann, dass ihre Spieler plötzlich „ungelenk“ wirken – doch oft bleibt unklar, dass genau das ein Hinweis auf einen Wachstumsschub ist.

Auch hormonelle Veränderungen wirken mit: Schwankende Spannungsverhältnisse im Gewebe, temporäre Kraftverluste und Koordinationsprobleme gehören zur physiologischen Realität. Wer in dieser Phase unreflektiert Höchstleistung fordert, riskiert Überlastungsschäden – und im schlimmsten Fall den Ausstieg aus dem Leistungssport.

Typische Problemzonen

Die Folgen betreffen fast alle Körperregionen. Besonders anfällig sind die Knie, wo Patellaspitzensyndrome oder Morbus Schlatter auftreten. Ebenso gefährdet ist die Lendenwirbelsäule:
Hier entstehen durch Rotationen und Richtungswechsel Knochenödeme oder Stressfrakturen. Auch die Ferse ist häufig betroffen – die sogenannte Sever-Krankheit entsteht, wenn die Achillessehne am noch weichen Knochen zieht. Und nicht zuletzt reagiert die Schulter empfindlich auf die hohen Überkopfbelastung, wenn die Muskulatur nicht in der Lage ist, das Schulterblatt funktional und kräftemässig ausreichend zu stabilisieren.

Belastungen im modernen Tennis

Tennis verlangt eine einzigartige Kombination aus Beweglichkeit und Stabilität – unter extremen Bedingungen. Bei jedem Richtungswechsel wirken Kräfte vom Drei- bis Fünffachen des Körpergewichts auf Knie und Sprunggelenke. Ein Jugendlicher schlägt pro Woche hunderte Aufschläge und tausende Vor- und Rückhände. Moderne Schlägertechnik, extreme Griffhaltungen und höhere Schlaggeschwindigkeiten erhöhen die Hebelkräfte zusätzlich. Für einen Körper im Umbau ist das ein Stresstest, weil durch die hohe Wiederholungsrate bereits kleinste Dysfunktionen zu Schmerzen und Verletzungen führen können.

Beispiele aus der Praxis

Dass diese Risiken nicht theoretisch sind, zeigen Fälle aus meiner Arbeit:
Ein 13-jähriger Nachwuchsspieler aus Bayern litt wiederholt unter Knochenödemen in der Lendenwirbelsäule. Ein anderer, 14 Jahre alt, erlitt sogar einen Überlastungsbruch und starke Knieschmerzen. Beide mussten monatelang pausieren – eine enorme Belastung, körperlich wie mental.

Fazit Teil 1

Wachstumsschübe verändern den Körper fundamental. Die Jugendlichen Spieler sind in der Folge eines Wachstumsschubes häufig verkürzt, was die allgemeine Beweglichkeit sichtbar einschränkt und durch den veränderten Körperschwerpunkt auch funktional deutlich instabiler. Wenn wir diese Tatsachen ignorieren, riskieren wir nicht nur Verletzungen, sondern langfristige Folgeschäden.

Doch die entscheidende Frage lautet:
Wie können Eltern, Trainer und Spieler darauf reagieren?

 

→ Fortsetzung folgt: Teil 2 – Wie Trainer, Eltern und Spieler Wachstumsschübe sicher begleiten können.

Torsten Hunold Schmerztherapie und -prävention für Tennisspieler

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