Interview mit Christoph Damaske, internationaler Stuhlschiedsrichter im Tennis
Tennis lebt nicht nur von spektakulären Ballwechseln, sondern auch von klaren und fairen Entscheidungen auf dem Platz. Einer, der dafür weltweit verantwortlich ist, ist Christoph – internationaler Stuhlschiedsrichter. Im Gespräch gibt er uns Einblicke in seine Arbeit, Herausforderungen und besondere Momente.

Christoph, wie bist du ursprünglich zum Schiedsrichterwesen im Tennis gekommen?
Hallo Andy, ich habe wie so viele Kollegen damals im Tennis-Boom als Ballkind bei den Westfalen Open in Münster angefangen und beim Satellite Masters in Münster-Wolbeck. Mit 13 Jahren wurde ich dann zum Linienrichter befördert und habe als 14-Jähriger die ersten Spiele beim THC Münster in der Regionalliga Damen 55 geschiedst. Mit 17 durfte ich dann in der Tennis-Bundesliga anfangen, ich weiß noch wie Vater Braasch als Oberschiedsrichter mich direkt auf das 6er-Match Michael Kohlmann versus Carsten Arriens gesetzt hat und den Jungs gesagt hat: „Nehmt Ihn bitte nicht direkt auseinander, er fängt gerade an und hat als Linienrichter ein gutes Auge.“ Das Match lief dann ganz in Ordnung, Carsten Arriens hatte nur einen Schläger am Zaun zerlegt;-)
Was hat dich motiviert, die Laufbahn bis zum internationalen Stuhlschiedsrichter einzuschlagen?
Ich habe es schon als Linienrichter geliebt, neue Freunde über die Turniere kennen zu lernen und fand die Wertschätzung und das Vertrauen toll, dass uns damals Dieter Madlindl gegeben hat, uns als Persönlichkeiten auf und neben dem Platz zu entwickeln. Das Reisen und neue Turnierteams kennen zu lernen fand ich damals schon aufregend und die Arbeit hat mehr Spaß gemacht, als bei HIT Weinflaschen in die Regale zu räumen, was mein anderer Nebenjob war;-) Irgendwie habe ich die Filzkugel in meinem Blut gehabt und damals Dank des Becker-Booms alles um den Tennissport aufgesaugt.
Welche besonderen Qualifikationen oder Prüfungen musstest du auf dem Weg dorthin absolvieren?
In Deutschland war es schon immer wichtig, sich sehr gut mit den Tennisregeln auseinander zu setzen und gut vorbereitet zu den DTB-Seminaren zu fahren. Dazu hatten wir tolle Lehrer mit viel internationaler Erfahrung. Generell galt, je besser man vorbereitet war, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, die DTB-Seminare zu bestehen. Durch die gute nationale Ausbildung fielen uns die Internationalen White- und Bronzebadge-Schulen dann leichter als es für internationale Kolleg*innen der Fall war.

Wie sieht ein typischer Turniertag für dich aus – von der Vorbereitung bis zum letzten Match?
Aktuell versuche ich morgens vor dem Frühstück eine Einheit im Gym zu absolvieren, nach dem Frühstück geht es dann meist auf die Anlage. Unser Start in den Tag ist immer eine Stunde vor dem offiziellen Matchbeginn. Dann schiedsen wir ein bis drei Matches pro Tag und coachen noch ein bis zwei Matches jüngerer Kollegen, die wir im Laufe einer Turnierwoche bewerten dürfen. Die Stunden auf der Anlage summieren sich dann gerne einmal auf 10-12 Stunden, je nach Flutlicht-Turnieren mit Nightsessions auch noch mehr.
Welche Unterschiede erlebst du zwischen Schiedsrichterei auf nationaler und internationaler Ebene?
Auf nationaler Ebene möchten wir jungen Schiedsrichter*innen ein paar Tipps in der 1. und 2. Bundesliga und auf MTT/WTT - Turnieren geben, dort werden meist die ersten Schritte gemacht als C- und B- Schiedsrichter*innen. Dort steht also die Ausbildung im Vordergrund. Selbst bin ich dort mehr in der Bundesliga als A-SR und A-OSR tätig. Auf internationaler Ebene ist alles noch ein Stück professioneller mit Fahrdiensten, Meetings, Training Guides mit Video-Cases während einer Turnierwoche, die langen Anreisen gibt es in Deutschland natürlich weniger. Und natürlich schadet es nicht, die eine oder andere Fremdsprache zu sprechen, wenn man international unterwegs ist.
Wie gehst du mit Drucksituationen um, wenn Entscheidungen besonders kritisch oder umstritten sind?
Als Sportpsychologe habe ich da meine Routinen und Rollen, in die ich mich unter Druck versetze. Zum einen darf man aggressive Verhaltensweisen von Spieler*innen nicht persönlich nehmen, sondern sich immer als erste Anlaufstelle sehen, an der Sie Ihre Match-Nervosität rauslassen können. Da hilft dann tiefes Durchatmen und meistens auf Durchzug schalten und dem Spieler das Ohr schenken. In den seltensten Fällen wird wirklich nach Antworten gesucht, die sollte man dann allerdings parat haben und man sollte für die Spieler nahbar sein und nicht von oben herab kommunizieren. Dabei müssen unsere Wahrnehmungen nicht deckungsgleich werden, auch das gilt es zu akzeptieren im dann ab und zu heißen Stuhl.

Gab es bereits Momente, in denen Spieler oder Zuschauer deine Autorität stark herausgefordert haben?
Generell gesprochen, kann es diese Momente immer geben, gerade bei Davis Cups oder in emotional aufgeladenen Atmosphären oder für Spieler*innen in besonderen Drucksituationen. Dann ist kommunikative Stärke gefragt und der Glaube an die eigene Selbstkompetenz, wobei man sich immer hinterfragen sollte, welchen Einfluss auf die spezielle Situation man selbst hatte. Ich habe zum Beispiel kein Problem damit, dem Spieler gegenüber zuzugeben, wenn ich mal einen Overrule verpasst oder versemmelt haben sollte. Bei den großen Turnieren haben wir bezüglich schwieriger Zuschauer*innen zudem immer eine enge Zusammenarbeit mit dem Referee und Supervisor, die bei auffälligen Zuschauern dann auch mal die Security hinschicken können.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit Linienrichtern und Ballkindern, und wie koordinierst du das während eines Matches?
Wie wichtig die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit Linienrichtern ist, erleben wir heute ja fast nur noch auf der Challenger-Ebene. Es macht einfach mehr Spaß im Team zusammen auf dem Platz zu sein und Lobe für gute knappe Calls an die Linienrichter aussprechen zu können. Wir arbeiten da viel mit Blickkontakt und versteckten oder offenen Handzeichen. Das gleiche gilt für die Ballkinder, denen wir immer sagen, wenn sie sich mal unsicher sein sollten, dass sie uns dann anschauen sollen und wir dann helfen können. Auch dort nutzen wir viel die Bestätigung für die tolle Arbeit der Kinder und Jugendlichen, non-verbal und verbal, meistens dann beim Seitenwechsel mit einem Daumen hoch oder ähnlichem.
Welche Rolle spielt die Technik, wie Hawk-Eye oder elektronische Linienüberwachung, für deine Arbeit?
Es beruhigt natürlich die Matches sehr. Wenn früher die Spieler*innen jeden engen Ball an z.B. der Grundlinie ausgesehen haben, akzeptieren sie den Live Electronic Line Calling-Entscheid bei exakt den gleichen Bällen viel besser und ruhiger. Und für unser Auge hilft es, wenn wir nach einem Live-ELC Event dann wieder mit Linienrichter spielen, uns an die Vorwoche zu erinnern und die Finger von zu engen Bällen zu lassen.

Gibt es ein Match oder eine Situation, die dir besonders im Gedächtnis geblieben ist – positiv oder negativ?
Natürlich war es für jeden deutschen Schiedsrichter immer ein Privileg, die Top-Stars in der Bundesliga schiedsen zu dürfen. So durfte ich in Sundern einmal Boris Becker schiedsen zum Ende seiner Karriere hin und den erst 17-jährigen Rafael Nadal bei BW Neuss in der Bundesliga, wie er den frischen Roland Garros-Viertelfinalisten Alberto Berasategui mit 6:3, 6:2 verartztet hat, das war schon beeindruckend. Generell freut man sich über jedes Match, bei dem die Spieler sich nach dem Match bedanken und man nicht im Mittelpunkt stand. Als ein in Halle groß gewordener Linien- und Schiedsrichter liebe ich besonders die Rasensaison mit dem speziellen Duft des Grases auf den Anlagen und den gekreideten Linien, die den Ball ein wenig verlangsamen. Niemals vergessen werde ich des weiteren eine Situation beim Eurocard Masters in der Schleyer Halle in Stuttgart während des Matches Agassi gegen Sampras, wo Sampras eine Vorhandkanone auf meine Grundlinie gesetzt hat und ich vor Schreck „out“ gerufen haben und mich zum Glück korrigiert habe und Agassi mir dann ein paar warme Worte zugerufen hat. Der leider zu früh verstorbene deutsche Top-Schiedsrichter Rudi Berger kam nach dem Match dann extra zu mir, und hat sich für die gute Correction bedankt und mich dann zu den ATP Finals in Hannover eingeladen, das sind tolle Erinnerungen aus früheren Tagen.
Welche Eigenschaften sind aus deiner Sicht unverzichtbar, wenn man internationaler Schiedsrichter werden möchte?
Als allererstes sollte man das Reisen lieben und aufgeschlossen für neue Menschen und Kulturen sein. Der Job als internationaler Schiedsrichter bedeutet dann auch, die Liebsten wochenlang nicht zu sehen. Zum Glück ist das heute mit Face-Time und Videotelefonie einfacher geworden. Dann ist es ratsam, sich selbst ständig weiterentwickeln zu wollen, denn wir lernen nie aus, es gibt immer neue Fähigkeiten, die von uns erwartet werden. Auch im Schiedsrichterwesen ist Stillstand Rückschritt. Früher war ein gutes Auge wichtig, dass man an der Linie entwickelt hat.
Hilfreich ist es zudem, eine gewisse Sprachaffinität mitzubringen.
Und zum Schluss: Was sind deine persönlichen Ziele oder Wünsche für die Zukunft im Schiedsrichterwesen?
Ich persönlich möchte noch so lange schiedsen, wie ich mich auf die Turniere und Kolleg*innen freue und noch den Reiz im Stuhl spüre, für die Spieler das bestmögliche faire Spiel zu leiten. Für mich stand immer der Spaß und die Freude bei der Arbeit im Stuhl im Vordergrund und ich habe den Job des Schiedsrichters erst seit ein paar Jahren als Beruf begriffen. Da sich die Technologie und KI rasend schnell entwickelt, wird es spannend zu sehen sein, wie lange man den Stuhlschiedsrichter an sich überhaupt noch braucht. Es wird in den kommenden Jahren noch einige Veränderungen geben und dann schauen wir mal, wie lange ich noch ein kleiner Teil der Tennisfamilie sein darf.
Vielen Dank, Christoph, dass du dir Zeit genommen hast, uns einen Blick hinter die Kulissen der Schiedsrichterei im Tennis zu geben. Dein Engagement für Fairness und Präzision macht deutlich, wie wichtig deine Rolle für den Sport ist.